Wo heute das Dorf Jheringsfehn ist, war noch vor ein paar hundert Jahren Wildnis,Moor, nass, platt, abweisend, nicht viel mit anzufangen. Vor ca. 400 Jahren fing man an, diese öde Gegend nutzbar zu machen, weil der Torf aus dem das Moor großenteils bestand als Brennmaterial zunehmend interessant wurde. Den hatte man zu diesem Zweck schon immer in geringem Umfang abgebaut, aber nun entwickelte besonders das benachbarte Emden großen Bedarf: „Emden fror und brauchte Torf“. Ein Moor ist nun einmal nass und es gibt dort keine Wege. Systematischer Torfabbau setzt daher voraus, dass das Moorentwässertwird und dass man mit Verkehrswegen eine Infrastruktur schafft, die - unter anderem -Transportwegebereitstellt. Die „Fehnkultur“ mit der man dabei in Jheringsfehn zu Werke ging stammte aus Holland. Sie stellt ein ganz besonderes Verfahren zur Moorkultivierung dar, wie es in den ostfriesischenFehnkolonienderen Ortsnamen „-fehn“ beinhalten, angewendet wurde.
Moor wurde vom Landesherren inErbpachtan Unternehmer vergeben. (Erbpacht ist eine auf besonders lange, über Generationen hinweg ausgelegte Art der Verpachtung ). In Jherigsfehn war das erst Paul Harsebrock, dem auch das Boekzetelerfehn gehörte, und ab Mitte des 18. Jahrhunderts die Familie Jhering. Der Erbpächter ließ in Lohnarbeit zur Entwässerung des Moores einen Hauptkanal(Hauptwieke)im Moor anlegen, der Anschluss an einen natürlichen Wasserlauf hatte. In Jheringsfehn war das dieHookswieke, die über das Boekzeteler Meer an das Fehntjer Tief angeschlossen war und die als Transportweg für Torf und für Güter aller Art die Lebensader des Fehns wurde. Es wurdenUnterpächterangeworben, die – ebenfalls in Erbpacht –eineParzelle im Moor zugewiesen bekamen. Dazu mussten diese Pächter sog. Inwieken graben (bei uns dieGeorgswieke, Rudolfswieke, Altebeek (-swieke), Neuebeek( -swieke). Diese Kanäle dienten ebenso wie die Hauptwieke der Entwässerung des Moores und dem Transport. Ein Problem waren zu Zeiten des Torfabbaues immer die Wasserstände in den Wieken und damit die Schiffbarkeit. Der Untergrund stieg ins Moor hinein an, sodass man Schleusen benötigte, um besonders im Sommer durch Aufstauen des Wassers eine möglichst ausreichende Wassertiefe zu halten.
Für eine Besiedelung der abgetorften Flächen war es zunehmend wichtig, diese Flächen durch die Pächter zu kultivieren, d.h. für einelandwirtschaftliche Nutzungherzurichten. Nach dem Abtorfen blieb Sand als Untergrund, der durch Einarbeiten von Weißtorf, Schlick, „Strassendreck „ aus Emden und anderen zu Düngung geeigneten Materialien landwirtschaftlich nutzbar gemacht wurde Die Pächter waren zudem verpflichtet, auf ihrer Parzelle ein Haus zu bauen, Pacht und andere Abgaben zu leisten. Es entstand das charakteristische Ortsbild Jheringsfehns mit seinem Netz von Wieken und der daran aufgereihten Bebauung.
Der Ort war jedoch keine politische Gemeinde, sondern einprivates Unternehmenwobei die Bewohner für Schule, Kirche, Armenfürsorge, etc., zwar gesetzliche Vorgaben zu erfüllen hatten, die Umsetzung jedoch selbst durch Abgaben oder Umlagen finanzieren mussten. Der Fehnherr als Grundbesitzer bestimmte zudem bei Allem, was wie zu erfolgen hatte. Er verfügte insbesondere über alle Rechte an Kanälen, Wegen – falls vorhanden-, Schleuse, Brücken, etc..
Die Erschließung der Moorflächen des Jherigsfehn war zeitlich getrennterfolgt sodaß sich zwei Ortsteile entwickelt hatten, die „Hoek“ mit der Hookwswieke als Hauptwieke und die „Beek“, die bis 1823 über die Beekswieke ( in Verlängerung der Altenbeek) über Boekzetel an das Boekzeteler Meer angeschlossen war, bis dann die Westerwieke ( „Langes Rack“) bis zur Hookswieke fertiggestellt war.
Als“Jheringsfehn I“ = Hoekund „Jheringsfehn II“ = Beekhatte diese Unterteilung vielfache Auswirkungen, etwa auf die Zuordnung der Schulkinder zu der Schule an der Hookswieke für das Hoek oder zu der Schule an der Westerwieke für Kinder aus der Beek. Bei derKirchenzugehörigkeitwaren die Hoekster nach Timmel eingepfarrt, die Beekster nach Hatshausen. Die gemeinsame Johannes Kirche wurde 1864 dann auch genau auf dem Schnittpunkt der Gemeindegrenzen Hoek / Boek / Beek errichte.
DieParzellender (Untererb-) pächter waren im Schnitt 2,3 ha groß. Diese Fläche war natürlich zu klein, um ein Auskommen zu ermöglichen, sodaß andere Erwerbsmöglichkeiten notwendig waren, um über die Runden zu kommen. Neben der Arbeit als Tagelöhner, dem Anbau von Buchweizen auf noch nicht abgetorften Moorflächen, u.ä. bot sich da insbesondere dieSchifffahrtund Arbeit in damit verbundenen Gewerben als Broterwerb an. Torftransport und ebenso jeder andere Warenverkehr spielten sich ohnehin auf dem Wasser ab, sodass ein enger Bezug zur Schifffahrt gegeben war. Mitte des 19. Jhd. bezog dann auch ein Großteil der Familien in Jheringsfehn ebenso wie in den anderen Fehnorten ihr Einkommen zumindest teilweise aus der Schifffahrt. Das war keineswegs nur der lokale Schiffsverkehr, mit Torfhandel und sonstigem Warentransport, auch in der Küsten- und sogar Hochseeschifffahrt waren Fehntjer tätig. Damit kam auch zunehmend etwas Wohlstand auf das Fehn.
Die Erbpacht wurde Ende des19. Jahrhunderts abgeschafft und mit der Ablösung der Pacht durch die Fehnbesitzer wandelte sich der Ort Jheringsfehn dann zu der politischen Gemeinde Jheringsfehn. Die Pachtverhältnisse der Fehntjer gegenüber dem Fehnherren wurden Anfang des letzten Jahrhunderts abgelöst, die letzten Ratenzahlungen erfolgten in den 30er Jahren.
Mit der Gemeindereform vor rund 50 Jahren wurde der Ort Jheringsfehn Teil derGemeinde Moormerland. Vor rund 1000 Jahren zu Zeiten der „Friesischen Freiheit“ war das Gemeindegebiet Teil der alten friesische Landgemeinde „Moormerland“ (das Land der Männer aus dem Moor).
Die moderne Infrastruktur des Ortes von Verkehrswegen an Land bis zur Bereitstellung von Trinkwasserversorgung und Kanalisation ist eine Errungenschaft des letzten Jahrhunderts, vielfach erst der Zeit nach dem 2. Weltkrieg, also erst einige Jahrzehnte alt. Mit seiner charakteristischen Ortsstruktur, den Wieken, der Bebauung längs dieser Wasserwege und den Grünlandstreifen dazwischen ist Jheringsfehn nicht nur besonders hübsch sondern auch als„Historisch gewachsene Kulturlandschaft – Fehnsiedlung“anerkannt.
Jochen Pfaff